BioGrafie: Christian O. Erbe
(Stuttgart/Tübingen) – Christian O. Erbe ist der geschäftsführende Gesellschafter der Erbe Elektromedizin GmbH aus Tübingen. Das Familienunternehmen entwickelt, produziert und vertreibt in der 5. Generation chirurgische Systeme für den Einsatz in der Medizin. Der 62-Jährige leitet nicht nur ein Unternehmen mit 1.700 Mitarbeitern, das in 110 Ländern präsent ist. Er engagiert sich darüber hinaus in zahlreichen Ehrenämtern an Universitäten und in Verbänden und ist seit 2022 Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages. Sonntagsreden hält er ungern – obwohl er in jungen Jahren mit der Theologie geliebäugelt hat. Parallelen zur Arbeit eines geistlichen Hirten sieht er in seinem Alltag dennoch – beispielsweise, wenn es um schwarze Schafe in der Wirtschaft geht.
Christian O. Erbe führt in der 5. Generation das Tübinger Familienunternehmen Erbe Elektromedizin GmbH. Überaus erfolgreich entwickelt, produziert und vertreibt das Unternehmen professionelle medizinische Systeme, Geräte und Instrumente. Zu den betreffenden Fachgebieten gehören die Elektrochirurgie, die Thermofusion, die Plasmachirurgie, die Kryochirurgie und die Hydrochirurgie.
Dass Erbe heute weltweit so erfolgreich ist, hat er – unter anderem – einer sehr mutigen und entschlossenen Frau zu verdanken: seiner Urgroßmutter Pauline. 1851 gegründet, erlebte die Firma, die aus einer Feinmechaniker-Werkstatt entstanden ist, Anfang des 20. Jahrhunderts eine erste große Krise. Der Sohn des Firmengründers verstarb im Alter von nur 52 Jahren plötzlich und unerwartet – oder wie es sein Nachfahre Christian O. Erbe formuliert: „Er hat sich zu Tode geschafft.“ So musste Pauline Erbe das Unternehmen, das sich inzwischen schon einen exzellenten Ruf für seine medizinischen Geräte erarbeitet hatte, übernehmen. Im Jahr 1907 war das für eine Frau und Mutter alles andere als selbstverständlich. Dass sich Erbe nicht nur als Unternehmer, sondern auch in seinen zahlreichen Ehrenämtern in Industrie und Forschung für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf – gerade für Frauen – stark macht, dürfte auch mit diesem Kapitel der Firmen- und Familiengeschichte zusammenhängen.
Für ihn selbst, der auch Vater eines Sohnes ist, stellt sich wohl vor allem die Frage nach der Vereinbarkeit seiner Geschäftsführertätigkeit mit den zahlreichen Ehrenämtern. Er ist – unter anderem – Vorstandsvorsitzender des Fachverbandes Elektromedizinische Technik des Zentralverbandes der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) e. V., er sitzt im Vorstand des Ausschusses für Gesundheitswirtschaft des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) e. V., ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik (DGBMT) im VDE, er ist Präsident der Industrie- und Handelskammer Reutlingen und des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages sowie im Vorstand des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Außerdem ist Erbe Vorsitzender der Kuratorien in den Max- Planck-Instituten für Biologie und für biologische Kybernetik sowie Vorstandsvorsitzender des Universitätsbundes der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Und schließlich ist er stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Standortagentur Neckar-Alb sowie Fachrichter für Handelsrecht am Landgericht Tübingen.
Erbe hat alle diese Aufgaben gezielt gewählt: Jedes seiner Ehrenämter gehört zu einer Säule seiner Berufung: das Zusammenspiel von Medizintechnik, Wissenschaft und Wirtschaft. Die vielen Termine empfindet er daher auch nicht als mühsames Absitzen in Gremien, sondern als Bausteine für den perfekten Dreiklang in seinem Leben; wohl wissend, dass er als IHK-Präsident nicht immer den gleichen Standpunkt vertreten kann wie als Geschäftsführer eines Familienunternehmens. „Es wäre ja ein Fehler, zu generalisieren und von der eigenen Firma auf alle anderen zu schließen“, erklärt er. „Ich darf auch nicht einseitig die Medizintechnik vorantreiben.“ Als IHK- Präsident sehe er es als seine Aufgabe an, der Politik zu vermitteln, wie die Wirtschaft tickt: „Ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich mich mit Abgeordneten unterhalte, dass sie nicht wissen, welche Auswirkungen ihre Entscheidungen im praktischen Leben haben. Ich sage ihnen: Wenn diese Gesetzesvorlage so durchgeht, dann passiert den Unternehmen Folgendes… Dann sind die oft sehr erstaunt und ich höre: ‚Das haben wir aber nicht gewollt‘.“
Das Gleichnis von den zehn schwarzen Schafen
Wenn es um die Ausgestaltung von Regeln und Vorgaben für Unternehmen geht, lässt sich Erbes Interesse für die Theologie kaum verbergen: „Politiker gucken immer auf die schwarzen Schafe. Angenommen, Sie haben eine Herde mit hundert Schafen, darunter zehn schwarze. Sie schaffen es nicht, zu sagen: Die schwarzen Schafe lassen wir in Ruhe, denn in der Herde ist ja zu 90 Prozent alles in Ordnung. Stattdessen haben sie schlaflose Nächte, weil sie die schwarzen Schafe loswerden wollen. Das geht auch. Ein probates Mittel wäre ein bisschen Gift ins Futter zu geben, dann sind die schwarzen Schafe weg. Die Weißen allerdings auch. Politik wird fast immer mit Blick auf die schwarzen Schafe gemacht. Warum lassen wir nicht einfach die schwarzen Schafe schwarz sein?“ So geschehen in der Coronapandemie: „Die Kammern der IHKs haben über 200.000 Anträge für Soforthilfe bearbeitet. Damit waren nahezu alle Mitarbeiter beschäftigt, denn Soforthilfe muss ja sofort sein. Natürlich war uns klar, dass Betrüger darunter sein würden, aber wenn wir gesagt hätten, wir müssen in erster Linie verhindern, dass es Betrugsfälle gibt, wäre die Soforthilfe nie ausgezahlt worden.“
Erbe ist ein Typ, dem man jederzeit zutraut, dass er auf einer Bühne vehement für seine Überzeugungen eintritt. Aber natürlich weiß er auch, wann leise Töne angebracht sind. „Es geht immer darum, wen man repräsentiert. Kämpferisch auftreten kann man für die Wirtschaftsverbände, da sind klare Worte wichtig, und da gibt es auch Konfrontationen. Meine Aufgabe bei der IHK ist es hingegen, ausgleichend und abwägend vorzugehen, das steht auch so im Kammergesetz“, erklärt er. „Man muss wissen, wann Zeit zu poltern ist und wie man poltert. Doch wenn man beim Poltern zu viel Porzellan zerschlägt, dann kann man sich auch sehr viele Sympathien verscherzen und Blockaden aufbauen.“
Interkulturelle Experimente
Das Thema Blockaden ließ Erbe schon während seiner „Lehr- und Wanderjahre“ nicht los. Nach seinem Studium des Wirtschaftsingenieurswesens in Karlsruhe und der Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität Berlin, stieg er 1992 in das väterliche Unternehmen ein: „Ich war drei Jahre lang bei Erbe Österreich in Wien für den gesamten europäischen Osten zuständig. Wir hatten seinerzeit Tochterfirmen in Polen, Ungarn, Slowenien, Tschechoslowakei und Russland. Unmittelbar nach dem Fall des Eisernen Vorhangs war das hoch interessant, und ich durfte die Veränderungen direkt erleben.“ Und dann kam Nordamerika. Ursprünglich waren ebenfalls drei Jahre geplant, doch wurden acht daraus. „Mein Wechsel in die USA lief ein bisschen anders als geplant. Eigentlich sollte ich in Zusammenarbeit mit dem dortigen Chef den Markt kennenlernen. Doch als ich dort ankam, hat dieser sofort seine Kündigung eingereicht und nach drei Tagen das Unternehmen verlassen. Damit war ich der Chef. Er hatte wohl nicht viel gearbeitet und geahnt, dass es ungemütlich für ihn werden könnte, wenn ich käme“, so Erbe. „Ungemütlich wurde es dann leider für mich. Jedes Mal, wenn das Telefon klingelte, brach mir der Angstschweiß aus, weil ich zum einen die Person inhaltlich nicht verstehen konnte, ich kannte ja nichts und niemanden, und zum anderen, weil im Süden der Vereinigten Staaten ein anderes Englisch gesprochen wird als Schulenglisch.“
Dabei gab es für Erbe jede Menge zu tun: „In den USA waren wir so gut wie unbekannt. Unsere Wettbewerber wollten verhindern, dass wir dort Fuß fassten. Es gab jede Menge Rechtsstreitigkeiten und Patentstreitigkeiten. Gleichzeitig mussten wir investieren, weil wir wachsen wollten und eine schlagkräftige Vertriebsmannschaft aufbauen.“ 1996 brachte das Unternehmen eine flexible Sonde für die Anwendung der Argon-Plasma-Coagulation (APC) in der endoskopischen Chirurgie auf den Markt. Die APC eignet sich vor allem für die Blutstillung nach Verletzungen oder Biopsien und bei der Behandlung bestimmter Tumore. „Das war damals komplett neu und hat bei den Ärzten Begeisterungsstürme ausgelöst, aufgrund des Erfolgs dieser Technologie sind wir dann schnell gewachsen“, erzählt Erbe. In den Anfang seiner Tätigkeit in den USA fiel auch die Hochzeit mit seiner Frau. „Unsere Ehe ist ein großes interkulturelles Experiment, das ich gewagt habe, meine Frau ist nämlich Badenerin und in Freiburg aufgewachsen“, erklärt der geborene Tübinger. Der gemeinsame Sohn ist in Atlanta zur Welt gekommen und Amerikaner. Der Umzug zurück in die Heimat im Jahr 2003 war für die Familie nicht einfach, aber notwendig: „Das Unternehmen hier am Stammsitz zu leiten, geht nicht von einem anderen Kontinent aus. Wir mussten unseren Freundeskreis neu aufbauen, und Tübingen kam uns sehr klein vor…“ Indes bietet die Theologie auch hier Orientierungshilfe: „Diese Gegend ist calvinistisch geprägt, es gibt viele Unternehmer, die einen sehr christlichen Hintergrund haben. Das wird gelebt, aber nicht ins Schaufenster gestellt. Es gibt immer noch Leute, die ungern mittags im Restaurant essen, weil sich sonst die Frage stellt: Haben die nix zum Schaffen?“
Erben ist ein Privileg und keine Last
Als Geschäftsführer ist Erbe für mehr als etwa 1.700 Mitarbeiter in 110 Ländern verantwortlich. Dass ihm Menschen im eigenen Unternehmen mit Misstrauen begegnen könnten, weil er sich nicht „hochgearbeitet“, sondern seine Position geerbt hat, ficht ihn nicht an: „Das war nie mein Problem. Die Unternehmen in Österreich und in den USA waren zu Beginn auch klein, dort musste ich mich hocharbeiten – nicht von der Position her, aber ich habe die Unternehmen ausgebaut.“ Außerdem teilt Erbe die Leidenschaft für Technik und Medizin mit seinen Vorvätern: „Ich habe mir von Jugend an überlegt, was ich eigentlich machen will, meine Themen waren immer Theologie und Humanbiologie bzw. -medizin. Theologie bedeutet für mich, mit Menschen zu arbeiten, Menschen zu führen, Menschen zu verstehen. Das sind die Aufgaben eines Gemeindepfarrers, nicht nur Sonntagspredigten zu halten. Und ich sehe das gewissermaßen auch als meine Aufgabe hier im Unternehmen.“ So ist der soziale Aspekt für ihn von großer Bedeutung; in einem Zeitungsinterview auf den Krieg in der Ukraine angesprochen, betonte er: „Wir brauchen weiter Solidarität mit jenen, die grundlos angegriffen wurden und aus guten Gründen ihre Heimat verlassen. Das ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns gemeinsam stellen müssen.“ Und das sagt Erbe sowohl als Unternehmer also auch IHK-Präsident: „Bei grundsätzlichen humanitären Fragen muss ich keine Einzelinteressen vertreten. Da muss ich auch nicht lange darüber nachdenken. Das gebietet die Menschlichkeit.“
Der Tag hat 24 Stunden und die Woche sieben Tage
Trotz des perfekten Zeitmanagements hat auch für Erbe der Tag nur 24 Stunden. Daher hat er sich – notgedrungen – aus einigen Bereichen zurückgezogen: „Früher war ich auch bei OPs vor Ort, habe mit den Ärzten Innovationen diskutiert, steckte tief in der Materie drin, weil ich ja nicht nur einen kaufmännischen, sondern auch einen technischen Hintergrund besitze.“ So fuchst es ihn schon ein wenig, dass er nicht mehr so nah dran ist an Entwicklungen, aber er stellt auch fest, dass die Entwicklungszyklen immer länger werden: „Unsere Ingenieure sagen immer, ein Drittel ihrer Zeit verwenden sie für die Entwicklung und zwei Drittel für die Dokumentation. Früher war das genau andersherum.“ Daher schätzt er auch die Ideen, mit denen die BioRegio STERN Management GmbH (https://www.bioregio-stern.de/de) die Life-Sciences- Branche fördert, beispielsweise mit der Workshopreihe „Einschnitte – Einblicke“, in der sich Medizintechnikunternehmen und Mediziner in der Anatomie in Tübingen direkt über den „Medical Need“ und Innovationen austauschen können.
Kommunikation gehört zu Erbes täglichem Geschäft, auch online bei LinkedIn finden sich zahlreiche Beiträge von ihm – und die sind „zu 100 Prozent selbst gemacht und von mir eingestellt.“ „Digital Detox“, also der Verzicht auf elektronische Medien, wäre für ihn auch im Urlaub undenkbar. „Ich arbeite im Urlaub immer meine E-Mails durch, weil ich mir nicht den ganzen Tag Gedanken machen will, ob was Schlimmes passiert ist. Und außerdem will ich nicht nach dem Urlaub 800 E-Mails in der Maschine haben; dann wäre die ganze Erholung wieder weg.“ Dieses Arbeitsethos vermisst er ein wenig bei der sogenannten Generation Z der zwischen 1997 und 2012 Geborenen: „Das ist halt die Generation, die eher konsumiert. Wir haben Bewerbungsgespräche, da wollen die Bewerber wissen, ob sie bei einer Vier-Tage-Woche auch schon am Donnerstagmittag nach Hause gehen dürfen, so wie bei der Fünf-Tage-Woche am Freitag. Ich finde, das ist eine interessante Frage im Bewerbungsgespräch…“
Sein Sohn wird wohl nicht in die Fußstapfen des Vaters treten. Unter anderem deswegen hat sich das Unternehmen zum ersten Mal in 165 Jahren entschieden, die Geschäftsleitung nicht exklusiv mit Familienmitgliedern zu besetzten. „Der externe Teil der Geschäftsführung funktioniert hervorragend, sonst könnte ich diese Ehrenämter ja gar nicht machen. Aber das Unternehmen bleibt in Familienbesitz, das ist das erklärte Ziel der Gesellschafter.“ Es gibt also weiterhin viel zu tun für den 62-Jährigen, der zur Entspannung schon mal schwere Gartenarbeit betreibt, denn „Sport ist nicht so meins, auch wenn der liebe Doktor es empfiehlt“. Und obwohl sein Unternehmen Hauptsponsor des Tübinger Erbe-Laufs ist und sein Freund Dieter Baumann, Leichtathlet und Olympiasieger, zu den Organisatoren gehört – ist auch das Laufen nicht seine Leidenschaft. „Ich bin zwar Mitglied in einem Fußballclub, aber auch da bin ich schon seit längerer Zeit nicht mehr gesehen worden. Sport wäre schon sinnvoll, vielleicht komme ich noch dazu, wenn ich weniger bei LinkedIn poste und weniger Interviews gebe…“
Über die BioRegio STERN Management GmbH:
Die BioRegio STERN Management GmbH ist Wirtschaftsentwickler für die Life-Sciences-Branche. Sie fördert im öffentlichen Auftrag Innovationen und Start-ups und trägt so zur Stärkung des Standorts bei. In den Regionen Stuttgart und Neckar-Alb mit den Städten Tübingen und Reutlingen ist sie die zentrale Anlaufstelle für Gründerinnen und Gründer, Unternehmerinnen und Unternehmer.
Die BioRegion STERN zählt zu den großen und erfolgreichen BioRegionen in Deutschland. Alleinstellungsmerkmale sind die bundesweit einzigartige Mischung aus Biotechnologie- und Medizintechnikunternehmen sowie die regionalen Cluster der Automatisierungstechnik, des Maschinen- und Anlagenbaus.
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